In dieser neuen Bühnenarbeit widmet sich PRICE in Kollaboration mit den Tänzer*innen und Choreograph*innen Davi Pontes, Wallace Ferreira, Viní Ventania und den Komponisten Tobias Koch und Renato Grieco einem marginalisierten Sinn: Dem Riechen. Während die dichte Schönheit der Bilder bleibt, wittert etwas vor sich hin. Die Bühne leckt und was entweicht, umfängt die Anwesenden, dringt in sie ein.
Das portugiesische Wort für «Schicht» – camada – leitet sich etymologisch von «das, was verstreut/verbreitet ist» ab. In L'Air du Temps (breathing my beloved in) strukturieren drei stimmungsvolle Camadas die Bühne, die aus ausgeschnittenen Stofffassaden von Häusern mit Fenstern bestehen. Wie überdimensionale Scherenschnitte lenken sie den Blick über die Bühne und erinnern uns daran, dass das Theater ein Ort des Anschauens und des Sehens überhaupt ist. Unser Blick ist eingeteilt. Was kann man nicht sehen? Wenn der Raum zum Territorium wird, wird das Öffentliche zum Privaten. Wir werden zu Voyeuren, wenn wir durch das Fenster in die Nachbarwohnung schauen. Was ist drinnen, was ist draussen?
In der Frage steckt etwas Unzeitgemässes – wir wissen es heute nicht mehr. Im Theater dienen die Fenster nicht der schönen Aussicht, sondern sie erhalten einen Schein aufrecht. Der französische Titel der Performance ist einem Duft aus dem Jahr 1948 entlehnt und stellt historische Bezüge zur Strenge in der Form nach dem Zweiten Weltkrieg her (was durch das sentimentale englische Zitat eines Kate-Bush-Textes zwischen den Klammern etwas zunichte gemacht wird). Die Performance inszeniert eine Frontalität, die auf Distanz bleibt, aber auch abgeschwächt wird: Das Werk ist weder greifbar noch «immersiv». In Fortführung einer von vielseitiger Theatralität geprägter Praxis, die sich zwar auf das Visuelle konzentriert, aber auch jenseits unseres Sehsinns agiert, schlägt einem ein Hauch von Luft ins Gesicht, ein Geruch, der neutralisierend und zugleich beherrschend wirkt und durch ein entworfenes Lüftungssystem verbreitet wird. Zwischen Glasreiniger, Deodorant und Tuberose schlägt einem die Porosität des Duftes ins Gesicht.
Die synthetische und doch ambivalente Qualität des Geruchs ergreift einen auf zaghafte Weise. Es ist keine Erschütterung, sondern ein leichtes Unbehagen, das, wie die Kulturtheoretikerin Lauren Belant es formuliert hat, «noch nicht das Genre seines Ereignisses gefunden hat». Bevor man es rational erfassen kann, wird man somatisch infiltriert. Das verstärkte Geräusch der Ventilatoren, während eine*r der Darsteller*innen eine Viola da Gamba spielt, fügt eine weitere Ebene der doppelsinnigen Bedeutungsproduktion hinzu und verweist darauf, dass Macht eine affektive Angelegenheit ist. Antiseptische Kupferflakons, Häuser reicher Leute, die als Stoffstücke präsentiert werden, und ein Aquarium verweisen diskret auf eine politische Realität, von der wir bereits wissen, dass der Kapitalismus alles kolonisiert, auch unsere Sinne. Die Kritik wird nicht direkt hervorgebracht, sondern auf eine weitschweifende, umwegige Weise verarbeitet. Die olfaktorische und auditive Sensibilität der Arbeit fungiert als Weichspüler, der den Kommerz abwäscht. Die Performer*innen, die eine Szenerie aktivieren, die mit einer bürgerlichen Matrix von Macht und Reproduktion kokettiert, scheinen sich zusätzlich in Dekorationsstücke zu verwandeln, sie werden zum finishing touch eines Installationsdesigns. Doch in ihren Bewegungen und ihrem Gesang rufen sie eine emotionale Schärfe hervor, die uns im Innersten unserer begehrtesten Güter berührt.
Im Anschluss an die Vorstellung vom Freitag folgt ein Nachgespräch mit Caterina Albano, PRICE und Stefa Govaart moderiert von Joshua Wicke. Caterina Albano ist Dozentin für visuelle Kultur am Central Saint Martins (University of the Arts London). Sie ist Forscherin, Autorin und Kuratorin in den Bereichen zeitgenössische Kunst, visuelle Kulturen und Kulturtheorie. Sie ist die Autorin von Out of Breath: Vulnerability of Air in Contemporary Art (Minnesota University Press, 2022), Memory, Forgetting and the Moving Image (Palgrave MacMillan, 2016) und Fear and Art in the Contemporary World (Reaktion Books, 2012), von Zeitschriftenartikeln und Essays über die Politik von Erinnerung und Trauma, Emotion und Verletzlichkeit, Affekt und Atmosphären, die Geschichte der Emotionen, Psychoanalyse und Kuratieren.
In dieser neuen Bühnenarbeit widmet sich PRICE in Kollaboration mit den Tänzer*innen und Choreograph*innen Davi Pontes, Wallace Ferreira, Viní Ventania und den Komponisten Tobias Koch und Renato Grieco einem marginalisierten Sinn: Dem Riechen. Während die dichte Schönheit der Bilder bleibt, wittert etwas vor sich hin. Die Bühne leckt und was entweicht, umfängt die Anwesenden, dringt in sie ein.
Das portugiesische Wort für «Schicht» – camada – leitet sich etymologisch von «das, was verstreut/verbreitet ist» ab. In L'Air du Temps (breathing my beloved in) strukturieren drei stimmungsvolle Camadas die Bühne, die aus ausgeschnittenen Stofffassaden von Häusern mit Fenstern bestehen. Wie überdimensionale Scherenschnitte lenken sie den Blick über die Bühne und erinnern uns daran, dass das Theater ein Ort des Anschauens und des Sehens überhaupt ist. Unser Blick ist eingeteilt. Was kann man nicht sehen? Wenn der Raum zum Territorium wird, wird das Öffentliche zum Privaten. Wir werden zu Voyeuren, wenn wir durch das Fenster in die Nachbarwohnung schauen. Was ist drinnen, was ist draussen?
In der Frage steckt etwas Unzeitgemässes – wir wissen es heute nicht mehr. Im Theater dienen die Fenster nicht der schönen Aussicht, sondern sie erhalten einen Schein aufrecht. Der französische Titel der Performance ist einem Duft aus dem Jahr 1948 entlehnt und stellt historische Bezüge zur Strenge in der Form nach dem Zweiten Weltkrieg her (was durch das sentimentale englische Zitat eines Kate-Bush-Textes zwischen den Klammern etwas zunichte gemacht wird). Die Performance inszeniert eine Frontalität, die auf Distanz bleibt, aber auch abgeschwächt wird: Das Werk ist weder greifbar noch «immersiv». In Fortführung einer von vielseitiger Theatralität geprägter Praxis, die sich zwar auf das Visuelle konzentriert, aber auch jenseits unseres Sehsinns agiert, schlägt einem ein Hauch von Luft ins Gesicht, ein Geruch, der neutralisierend und zugleich beherrschend wirkt und durch ein entworfenes Lüftungssystem verbreitet wird. Zwischen Glasreiniger, Deodorant und Tuberose schlägt einem die Porosität des Duftes ins Gesicht.
Die synthetische und doch ambivalente Qualität des Geruchs ergreift einen auf zaghafte Weise. Es ist keine Erschütterung, sondern ein leichtes Unbehagen, das, wie die Kulturtheoretikerin Lauren Belant es formuliert hat, «noch nicht das Genre seines Ereignisses gefunden hat». Bevor man es rational erfassen kann, wird man somatisch infiltriert. Das verstärkte Geräusch der Ventilatoren, während eine*r der Darsteller*innen eine Viola da Gamba spielt, fügt eine weitere Ebene der doppelsinnigen Bedeutungsproduktion hinzu und verweist darauf, dass Macht eine affektive Angelegenheit ist. Antiseptische Kupferflakons, Häuser reicher Leute, die als Stoffstücke präsentiert werden, und ein Aquarium verweisen diskret auf eine politische Realität, von der wir bereits wissen, dass der Kapitalismus alles kolonisiert, auch unsere Sinne. Die Kritik wird nicht direkt hervorgebracht, sondern auf eine weitschweifende, umwegige Weise verarbeitet. Die olfaktorische und auditive Sensibilität der Arbeit fungiert als Weichspüler, der den Kommerz abwäscht. Die Performer*innen, die eine Szenerie aktivieren, die mit einer bürgerlichen Matrix von Macht und Reproduktion kokettiert, scheinen sich zusätzlich in Dekorationsstücke zu verwandeln, sie werden zum finishing touch eines Installationsdesigns. Doch in ihren Bewegungen und ihrem Gesang rufen sie eine emotionale Schärfe hervor, die uns im Innersten unserer begehrtesten Güter berührt.
Im Anschluss an die Vorstellung vom Freitag folgt ein Nachgespräch mit Caterina Albano, PRICE und Stefa Govaart moderiert von Joshua Wicke. Caterina Albano ist Dozentin für visuelle Kultur am Central Saint Martins (University of the Arts London). Sie ist Forscherin, Autorin und Kuratorin in den Bereichen zeitgenössische Kunst, visuelle Kulturen und Kulturtheorie. Sie ist die Autorin von Out of Breath: Vulnerability of Air in Contemporary Art (Minnesota University Press, 2022), Memory, Forgetting and the Moving Image (Palgrave MacMillan, 2016) und Fear and Art in the Contemporary World (Reaktion Books, 2012), von Zeitschriftenartikeln und Essays über die Politik von Erinnerung und Trauma, Emotion und Verletzlichkeit, Affekt und Atmosphären, die Geschichte der Emotionen, Psychoanalyse und Kuratieren.
Nacktheit
Konzept, künstlerische Leitung, Co-Choreographie & Performance | PRICE |
Co-Choreographie & Aufführung | Davi Pontes, Wallace Ferreira, Viní Ventania |
Musik | Tobias Koch, Viola da gamba, Renato Grieco |
Duft | AirSolutions |
External eyes | Yel K Banto & Stefa Govaart |
Licht Design, technische Leitung | Demian Jakob |
Bilder | Yel K Banto |
Teaser | Yel K Banto |
Kostüm | PEDRA |
Installation, Copper Falcons | PRICE |
Bühnenassistent | Yel K Banto |
Produktion | Rabea Grand, Paelden Tamnyen |
In Co-Produktion | Gessnerallee Zürich, Arsenic – Contemporary Performing Arts Center, Lausanne & Kunsthaus Pasquart Biel |
… |
Eine Produktion von PRICE in Koproduktion mit der Gessnerallee Zürich. Die Produktion ist finanziert aus den zweckgebundenen Produktionsgeldern der Stadt Zürich, die die Gessnerallee als Koproduktionsinstitution erhält. | |
Unterstützt von | SüdKulturFond, Ernst Göhner Stiftung |
Danke | Casado Povo, Air Fabric, Fundiart São Paulo, Paul Bernard, Studio Duzel, Niklaus Mettler, Martin Graf,Joshua Wicke, Heith, Sebastian Hirsig, Amedeo Maria, Christian Müller, Flaka Jahaj, Pieren AG Bern, Harrisonsharewood |